10 Feb Nehmen Sie eine Rutsche auf der wilden Seite
Arvidsjaur hatte sich zur Begrüssung der Gäste etwas ganz Besonderes einfallen lassen: minus 34 Grad. Hier im schwedischen Lappland, wo sich Elch und Rentier einsam auf weiter, leerer Flur gute Nacht sagen, ist Winter noch ernsthaft Winter. Allerorts eine dicke Schneedecke, rote Häuschen im weissen Pelz, Wälder im Tiefschlaf, die vielen Seen zugefroren. Ein perfekter Ort also für die Winterspiele der Autoindustrie. Denn auf den vereisten Gewässern kann man endlich das üben, was man sonst nur von den Rennfahrern des Rallyesports kennt: die hohe Kunst des Driftens um Kurven. Volkswagen bat zu diesem eisigen Vergnügen und brachte als Übungspartner den neuen Golf R mit. „R“ steht für Racing, und damit hat dieser Golf mit dem aktuellen Serienmodell ungefähr soviel zu tun wie Pret-a-porter mit Haute Couture.
Ganz typisch für den klassenlosen Bestseller sieht man diesem Modellathleten nicht gleich an, was er kann. Allenfalls Details wie gleich vier Auspuffrohre, dezente Seitenschweller und das Signet R am Körper verraten die Kraft, die hier entfesselt werden könnte. Mit 300 PS und einem Porsche-würdigen Drehmoment von 380 Newtonmetern toppt der Primus sogar den GTI, den anderen Golf mit sportlichen Ambitionen. Und damit soll man nun auf Eis beschleunigen, ohne gleich Pirouetten zu drehen? Für die Haftung auf dem tückischen Untergrund sorgen aber nicht nur die mit Spikes bewehrten Reifen, sondern der permanente Allradantrieb, der bei VW 4MOTION heisst. Er verteilt bei Bedarf die Kräfte aufs Eis und sorgt dafür, dass man beim Gas geben und Bremsen nicht ins Rutschen kommt und das Fahrzeug ausbricht.
Aber wenn man mit den Instruktoren auf den präparierten Eisparcours fährt, dann soll genau das passieren, aber eben so wohl dosiert und kontrolliert wie bei einem Slalomfahrer. Zuerst die gute Nachricht: zehn Zentimeter dickes Eis trägt ein Auto, bei 50 cm kann auch wie in Sibirien ein Lastwagen darüber fahren und bei 80 cm ein Flugzeug landen. Dieses dicke Eis, das in allen Tönen von Weiss bis Grau matt wie Chrom schimmerte, hätte locker einen Sattelschlepper ertragen und nicht nur einen Kompaktwagen im Rennoutfit. Jetzt die schlechte (zumindest wenn man auf Eis driften will): die vielen elektronischen Geister der Allradtechnologie lassen sich nicht so schnell überlisten. Man fährt auf die Kurve zu, der Golf R beschleunigt, ohne dabei unruhig zu werden und zieht den Fahrer wie auf Schienen durch die Kurve. Was wiederum eine gute Nachricht für den Alltag ist. Aber jetzt geht es schliesslich um einen Ausflug auf die wilde Seite des Fahrens.
Wenn man driftet, rutscht man quer in eine Kurve hinein, um dann in gerader Linie heraus zu beschleunigen. Rennfahrer machen das, weil es effektiver und zeitsparender ist. Geht man vom Gas, verändert sich die Lastenverteilung und das Heck entwickelt Eigendynamik. Man kontrolliert die Bewegung mit der Lenkung und mit Gasschüben und meistert so die Kurve. Soweit die Theorie. Es braucht Runde um Runde auf den von den VW-Experten wunderbar entworfenen Kursen, um ein Verständnis für diesen Tanz auf dem Eis zu entwickeln. Was im Alltag Grund genug für einen heftigen Adrenalinschub ist, wird hier zur herrlichen Herausforderung. Denn es geht um Feingefühl, das subtile Zusammenspiel von sanftem Druck auf dem Gaspedal, kleinsten Lenkbewegungen. So spektakulär das aussehen mag mit den querstehenden Golf R in der schwedischen Einsamkeit und den riesigen Schneeschleppen, welche hinter den Autos aufwirbeln, Driften vermittelt durchaus einen Eindruck von Eleganz gepaart mit Geschwindigkeit.
Dieser Golf mit dem R für Racing hat viele Gesichter und bietet daher dem Fahrer eine Fahrmodus-Auswahl. Neben „Eco“ gibt es unter anderem ein unwiderstehliches „Race“-Programm, das den Sound des Vierzylindermotors eine Oktave tiefer rutschen lässt und zum Beispiel auch die Dämpfung straffer nachzieht. Man muss keine Sorge haben, dass der kernige Klang stört. Der Schnee wirkt wie ein Puffer und in diesem Teil Schwedens kommen exakt 1,1 Einwohner auf einen Quadratkilometer. Man mag gar nicht mehr aussteigen. Aber nicht nur, weil der R seine Aufgaben souverän meistert, sondern weil auch das Interieur so einladend ist. Elegant und funktional zugleich mit einem hochwertigen Materialmix und sogar leuchtend blauen Lichtleisten, die wie für die polare Dämmerung entworfen scheinen. Die bergenden Sitze geben auch bei Drifts beruhigenden Halt. Es steckt beeindruckend viel German Engineering in diesem Top-Golf und höllisch viel Spass. Darauf sollte man sich beim Einkehrschwung von der Eisfläche unbedingt ein Elch-Carpaccio gönnen.
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