Diven für die Strasse

Sergio Pininfarina war ein Virtuose der Form. Der Sohn vom Gründer der gleichnamigen Karosserieschmiede hat Designgeschichte auf der Straße geschrieben. Anfang Juli ist der Turiner Gestalter, Unternehmer und Senator im Alter von 85 Jahren gestorben.

Autor: Norman Kietzmann

Autos und Kirchen haben eines gemeinsam: Sie geben ein Versprechen. Während der Klerus Aussicht auf ein ewiges Leben gibt, locken die metallenen Flitzer mit reichlichen Schüben an Adrenalin – und das bereits im Hier- und Jetzt. Dass die Anbetung schnittiger Karosserien selbst schon religiöse Züge annimmt, ist kein Zufall, sondern eng mit einem Namen verbunden: Pininfarina.

Die Turiner Karosserie- und Designschmiede hat nicht nur Klassiker wie den Alpha Romeo Spider, den Ferrari Dino 246 oder den Peugeot 604 hervorgebracht. Sie entwirft in dritter Generation längst Hochgeschwindigkeitszüge, Yachten oder die Fackel der olympischen Winterspiele in Turin 2006. Gegründet wurde die „Carrozzeria Pinin Farina“ 1930 von Battista Farina, den alle nur „Pinin“, den Kleinen, nannten. Seine Werkstatt war alles andere als ein Ort, an dem man sich lediglich das Öl auswechseln ließ. Sie war eine Traumfabrik für den Asphalt, in der das Automobil mit Effizienz und Eleganz neu erfunden wurde.

Dass ein einzelner Mann eine ganze Branche aufhorchen ließ, entsprang den Umständen der Zeit. Bis in die fünfziger Jahre war es üblich, ab einer gewissen Preisklasse lediglich das Fahrgestell mitsamt dem Motor von den Autoherstellern zu erwerben. Die Karosserie wurde maßgeschneidert wie ein Anzug – jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Während Extravaganzen dem eigenen Schneider tunlichst untersagt wurden, waren sie beim Auto nicht nur erlaubt. Sie wurden sogar explizit verlangt.

Die Karosserie wurde zur Erweiterung der männlichen Garderobe. Während Frauen mit ihren Kleidern experimentieren können, bleiben Männer uniform. Das Auto ist Abendkleid, kleines Schwarzes und Blaumantel in einem. Ein aus Blech geformtes Universaloutfit, das immer passt und manchmal, sofern es die Motorleistung zulässt, auch ein wenig laut sein darf.

Schnell machte sich der Pininfarina außerhalb von Turin einen Namen, da er die Wünsche seiner Kunden nicht nur ausführte. Er gab seinen Karosserien eine unverkennbare Linie, die Aerodynamik mit einer eleganten, zeitlosen Sprache in Verbindung brachte. Anstatt mit der Plumpheit eines Muskelprotzes bewegten sich seine Fahrzeuge wie stolze Ballerinen über den Asphalt hinweg und stellten klar, warum das Auto im Italienischen einen femininen Artikel trägt. Zum Erfolg der Karosserieschmiede trugen vor allem der 1935er Alfa Romeo 6C Pescara Coupé sowie der 1936er Lancia Astura Cabriolet tippo Bocca bei, die selbst im Stehen den Rausch der Geschwindigkeit versprühten, ohne gewollt zu wirken. Aerodynamik war bei Pininfarina kein plumper Stil wie bei den aufgeplusterten Heckflossen der fünfziger Jahre. Sie wurde durch eine gesteigerte Effizienz tatsächlich eingelöst.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges nahm die „Carrozzeria Pinin Farina“ ihre Produktion wieder auf. Vom Umstand, dass Italien 1946 am Pariser Autosalon nicht teilnehmen durfte, ließen sich Farina und sein 1926 geborener Sohn Sergio nicht aufhalten. Sie fuhren mit einem Alfa Romeo 6C 2500 S sowie einem Lancia Aprilia Cabriolet nach Paris und parkten die beiden Fahrzeuge direkt vor dem Eingang zum Grand Palais. Nicht nur die Blicke der Messebesucher waren ihnen sicher. Am letzten Tag der Ausstellung kam einer der Organisatoren zu ihnen und sagte, sie hätten sich einen zentralen Stand für das kommende Jahr verdient.

 

 

Einen Durchbruch brachte der Cisitalia 202, der 1947 als erstes Auto überhaupt in die ständige Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufgenommen wurde. Das Fahrzeug, das eine Karosserie aus Aluminium mit einem Skelett aus feinem Stahlblech verband, markierte für Pininafrina zugleich eine neue Richtung. „Ich wusste, dass die alten Formen vorüber waren. Autos müssen einfache, weiche und essenzielle Linien haben“, war sich Farina sicher.

1951 erfolgte ein Schulterschluss mit Folgen, als Pinin Farina von Enzo Ferrari um ein Treffen gebeten wurde. Der Autobauer aus Maranello übertrug ihm die Gestaltung sämtlicher Modelle, von denen noch im selben Jahr der Ferrari 212 und 1954 der Ferrari 250 GT unter der Leitung von Sergio Farina lanciert wurden. Als sich sein Vater 1961 im Alter von 68 Jahren zurückzog, übernahm er die Geschicke des Familienunternehmens. Noch im selben Jahr gab der italienische Staatspräsident Giovanni Gronchi persönlich dem Antrag statt, den Familiennamen in Pininfarina umzuändern. (…)

 

 

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.