Neue Härte

Härte Bahnräder ohne Bremse und Rücktritt gelten längst als angesagtes Accessoire. Im Hamburger Kiezladen Suicycle werden Eingangräder mit dem Bekenntnis zum Punk gefertigt – was Fahrgefühl und die Möglichkeiten zur Expansion angeht, ist die Grenze nach oben offen.

Foto: Oliver Schwarzwald

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Jan Glietz ist zunächst skeptisch. Ein Artikel über seine Fahrräder, über ihn? Das wolle er eigentlich nicht so gern. Er habe bereits viele Anfragen vorliegen gehabt, Zeitungen, Magazine, sogar der DMAX habe sich an ihn gewandt, mit seinen Jungs sollte er Fernsehstar werden. Doch er hat immer abgelehnt. Zu einseitig seien die Ansätze seiner Meinung nach gewesen, zu subjektiv. Auf solche Sachen, sagt er, wolle er sich lieber nicht einlassen. Der Laden von Jan Glietz ist nicht leicht zu finden. Viele türkische Gemüseläden und alte Kneipen markieren das Stadtbild des Viertels. Von hier aus sind es ein paar Schritte nur zum Millerntorstadion hinüber und nur wenige Schritte zum Kiez. Die Wohlwillstraße selbst ist eine unscheinbare und eher verschlafene Straße im Herzen St. Paulis, alternative Eltern mit kleinen Kindern sieht man hier viele, alte Menschen – sowie die so gennannte Unterschicht. Das Haus Nummer zwölf ist auf den ersten Blick ein einfacher Fahrradladen, draußen steht eine Bierbank, ein paar alte Räder warten auf ihre Reparatur. Nichts deutet darauf hin, dass hier die wohl coolsten und extrovertiertesten Bikes der Republik gebaut werden, die Suicycles. Jan Glietz sitzt an diesem warmen Sommertag etwas ölverschmiert hinter seinem Tresen inmitten gebrauchter Rennräder und schaut diesmal freundlicher als noch ein paar Tage zuvor. Er wolle sich doch entschuldigen für die Skepsis, die er einem zunächst entgegengebracht habe. Aber die Erfahrungen zeigten doch, dass man vorsichtig sein müsse mit der Presse, so Glietz. Was habe er nicht schon alles über sich und seine Räder lesen müssen. Reißerische Storys nennt er diese Berichte über den Großstadtrend von Bahnrädern ohne Bremsen und Rücktritt. „Der Pony-Express und die letzten Asphalt-Rowdys heißt es da, völlig bescheuert,“ sagt Glietz noch immer sichtlich genervt. „Wir sind einfach ein paar ehemalige Kuriere, die Spaß an geilen Rädern haben.“ Angefangen hat also alles auf der Straße. Glietz, zu Beginn des neuen Jahrtausends Fahrradkurier in Hamburg, war, wie auch seine Kollegen damals, ständig auf der Suche nach den neuesten und besten Teilen, um das eigene Fahrrad noch schneller und noch besser zu machen. Glietz hatte gute Quellen und besorgte gerne auch für Freunde entsprechendes Material. Ehrenamtlich, wie er sagt. Doch je mehr Bestellungen er annahm, desto häufiger kamen auch die Reklamationen. Zunächst nervte ihn das, doch schnell witterte ein Geschäft, schlug zwanzig Prozent auf den Einkaufspreis drauf und machte einen guten Schnitt. Das Nebengeschäft wurde seine Leidenschaft und zum Grundstein für die Suicycles. Dabei sah es alles gar nicht nach dem großen Erfolg aus. Sein neuer Laden werde die sympathischste Pleite des Jahres sein, prophezeiten ihm nicht wenige seiner Freunde. Doch Jan Glietz glaubte an die Sache. Metal-Mayer, ein befreundeter HipHop-DJ, betrieb damals einen Laden mit zwei Geschäftspartnern.

Foto: Oliver Schwarzwald

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„Das Konzept war eine Mischkalkulation,“ erinnert sich Glietz. „Fahrradgeschäft, Ghettoblaster- Verleih und Plattenladen.“ Doch der Ghettoblaster- Verleih ging eigene Wege, und der Fahrradladen lief auch nicht wie geplant. Und so übernahm Jan Glietz als zweiter Mann neben Metal-Mayer die Geschäfte. Das war im Jahre 2004 – als noch keiner voraussehen konnte, dass die Suicycle- Fahrräder irgendwann mal als Edeldekoration in angesagten Boutiquen zu finden sein würden. „So ein Laden ist ständig im Wandel,“ sagt der Mittdreißiger heute rückblickend, „keiner konnte ahnen, was daraus mal wird.“ Jan Glietz ist groß und blond und das, was man einen echten Hamburger Jung nennt. Mit seiner rauhen und lauten Stimme und seinen viel zu vielen Tattoos entspricht er durchaus jenem Typus, den man in St. Pauli des öfteren antrifft: dem „lifestyleorientierten Alternativpunk“, obwohl Glietz selbst diese Umschreibung viel zu klischeehaft wäre, Etiketten sind nicht wirklich seine Welt. Es ist Mittagszeit und Jan Glietz hat sich ein Restaurant in der Nachbarschaft ausgesucht, um über sich und über seinen Laden zu sprechen – und über seine bonbonbunten Suicycle-Bikes. Eigentlich ist das alles auch ein und dasselbe, untrennbar miteinander verwoben. „Die Leute fanden es geil, sich wie Kuriere zu verkleiden, diese Taschen zu tragen und mit schnellen Bikes durch die Gegend zu donnern,“ versucht Glietz sich seinen eigenen Erfolg zu erklären. „Und da kamen wir mit unseren unkonventionellen Rädern um die Ecke. Wir waren authentisch und verkörperten eine Welt, unsere Welt, die für viele attraktiv war.“ Authentisch ist der Laden in der Wohlwillstraße noch heute, weil es immer auch ein Geschäft war von Kurierfahrern für Kuriere. In den ersten Jahren, als der Laden noch nicht genügend Geld abwarf, da fuhr er selbst noch Kuriertouren aus. „Vormittags war ich auf der Straße, und nachmittags stand ich im Laden.“ Davon zeugen heute nur noch die Ladenöffnungszeiten, von 12.30 Uhr an ist das Geschäft geöffnet. Jan Glietz hat Hunger. Mordshunger, wie er sagt. Und dann kommt das Essen auch schon, Schnitzel, Pommes und Maracujaschorle mit Club-Mate. Jan Glietz streichelt seinen Hund, der bei dieser Hitze viel zu faul ist, um ernsthafte Ansprüche an sein Herrchen zu stellen. Jan Glietz und Metal-Mayer, das ist nur die eine Seite des Erfolgs von Suicycle. Die andere wohnt im Hamburger Stadtteil Harburg und heißt Hagen Wechsel. Wechsel ist Rahmenbauer und seit über dreißig Jahren im Geschäft, und wenn Jan Glietz über Hagen Wechsel spricht, dann leuchten seine Augen groß und stolz. „Das ist eine absolute Koryphäe,“ sagt Glitz und scheint dabei selbst noch nicht zu glauben, dass diese Koryphäe nun auch sein Geschäftspartner ist.

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Foto: Oliver Schwarzwald

 

Glietz kannte Wechsel natürlich vom Sehen, regelmäßig traf er ihn in einem Großmarkt für Fahrradzubehör in Hamburgs Norden. Wie einen Heiligen beobachtete Glietz den altgedienten Rennradguru dort, wenn dieser mal wieder ein paar Auftragsrahmen abzuliefern hatte oder für den eigenen Gebrauch etwas besorgen ging. „Ich hab mich aber nie wirklich getraut, ihn anzusprechen,“ gibt Glietz zu. „Zum einen, weil er für uns immer unerreichbar war. Zum anderen aber, weil uns schlicht und einfach auch das Geld fehlte, um mit ihm ins Geschäft zu kommen.“ Doch vor zwei Jahren war das Geld dann da und auch der Mut – und Glietz sprach Wechsel einfach an. „Was sollte auch passieren? Mehr als Nein sagen konnte er nicht. Und auf die Fresse hauen, das ging auch nicht, schließlich bin ich größer als er.“ Und obwohl Glietz selbst nicht an eine Zusage glaubte, einigte man sich auf einen Preis und auf eine Abnahmesumme und konzipierte gemeinsam die ersten Rahmen. „Hagen war der Profi und ich wusste, was die Leute wollen.“ Hagen Wechsel baut in seiner kleinen Garage handgefertigte Carbonrahmen, Aluminiumrahmen baut er auch. Doch seine Leidenschaft, das sind die gemufften Stahlrahmen, mit denen er berühmt wurde und unzählige Preise gewann und in den Neunzigern dann auch Weltmeistertitel holte. Und ausschließlich aus Stahl fertigt er nun auch die Suicycle-Bikes, die in seiner Werkstatt alle Arbeitsschritte bis hin zur Lackierung durchlaufen und erst dann in der Wohlwillstraße montiert werden. Jeder Kunde kann sich sein individuelles Fahrrad zusammenstellen lassen, finanziell ist nach oben keine Grenze gesetzt. Die ersten Suicycles waren Bahnrahmen mit einer klassischen Bahngeometrie und für die Kunden mit zwei verschiedenen Gabeln erhältlich. Die eine Gabel hatte mehr Vorlauf, ruhig also im Fahrverhalten und daher optimal für den Stadtverkehr. Die zweite Gabel war eine für die Bahn. Optisch, sagt Jan Glietz, musste die Gabel in den letzten zwei Jahren immer wieder verändert werden. Asien sei auf den Trend aufgesprungen und kopiere nun die Handgefertigten Stücke. „Für´n Appel und´n Ei,“ sagt Glietz ernüchtert. Deshalb müsse er seinen Kunden auch immer wieder Neues anbieten, um auch weiterhin seine Klientel zufriedenzustellen.

Foto: Oliver Schwarzwald

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Heute baut Suicycle neben klassischen Bahnrahmen auch Zeitfahrrahmen, Singlespeed-Räder und Cross-Bikes. Wie viele Fahrräder Suicycle im Jahr wohl absetzen kann? „Geheimnis,“ sagt Jan Glietz, grinst und kaut zufrieden auf seinem Schnitzel herum. „Aber es reicht zum Leben.“ Da lässt er sich nicht gern in die Karten schauen. Nur soviel: Die meisten Räder verkauft er nach Deutschland und ins benachbarte Ausland. Aber es fahren auch schon Suicycles in Asien rum – und in Australien. Auf St. Pauli kennt Jan Glietz jeder. Allein hier, im Restaurant, da kommt Glietz kaum zu seinem Essen. Ständig grüßt einer oder erkundigt sich nach dem Hund oder fragt nach seinem Fahrrad, das er bei Glietz gekauft hat. Und Glietz grüßt freundlich zurück. „Leider,“ sagt er, „leider hat sich die Gegend in den letzten fünf Jahren sehr gewandelt. Jetzt kommen die, die kein Bock haben auf den Kommerzscheiß auf der Schanze her. Hier sind noch ehrliche Läden und ehrliche Leute.“ Er weiß natürlich, dass auch er davon profitiert, je mehr Menschen den Weg in die Wohlwillstraße finden. Aber Glietz ist auch selbstkritisch und weiß, dass auch er Teil des Problems ist, weil durch angesagte Läden wie Suicycle diese Entwicklung eben noch verstärkt wird. „Wichtig ist, dass wir nicht unsere Wurzeln verraten, uns auch für die Muddi mit ihrem Kind noch Zeit nehmen, die einen Platten hat, und nicht nur für die Kunden da sind, die hier ein 3000-Euro-Bike kaufen.“ Deshalb hätten Metal-Mayer und er nun auch noch den Laden nebenan gemietet. Der Fahrradladen in Zukunft also für die Muttis, daneben die Ausstellungs- und Verkaufsfläche für die Suicycles. Dass seine Räder heute mehr sind, als nur Fortbewegungsmittel, dass sie auch als Modeaccessoire verstanden werden, als Prestigeobjekt gar, das stört Glietz wenig. Das Schönste ist für ihn immer noch, wenn der Kunde sein Rad im Laden abholt und er in diese glücklichen Gesichter schaut. „Da wird jeder, egal woher er kommt, egal wie reich oder wie arm, nochmal zum Kind.“ Das sei für ihn die größte Befriedigung – und die beste Werbung überhaupt. „Es sind ja auch unsere Babys,“ sagt Jan Glietz stolz über seine Räder. „Die gibt man auch nur gerne weg, wenn man weiß, dass sie in guten Händen sind.“ Auch deshalb ist ihm die Nähe zum Kunden so wichtig. Im Onlineshop von Suicycle liest sich das dann so: „Unser ganzer Stolz – nix China nix Taiwan Hamburg City rules“. Na ja. Der Teller ist leer und Jan Glietz muss zurück in den Laden. Gerade jetzt, im Sommer, da brummt das Geschäft, sagt er. Er streichelt seinen Hund, der noch immer erschöpft dreinblickt: „Bei diesem Wedder stinkt der Köter immer wie die schlimmsten Kurierfüße,“ schnoddert es zum Abschied aus Glietz im feinsten Pauli-Slang heraus. Schnell noch die letzte Frage also, woher denn eigentlich der Name stamme, Suicycle? „Ich brauchte noch ein Wort für eine Tätowierung und bin auf Suicycle gestoßen. Wegen Kurierfahren und Mahnung zum Vorsichtigfahren und so.“ Dann zeigt er das Tattoo auf seiner Wade. Und er zeigt auch seine Unterlippe von innen: SUICYCLE ist da zu lesen in krummen und grünen Buchstaben. „Derbe, ne? Hat mir meine Freundin gestochen. Ist gleich eingeschlagen wie ne Bombe der Name!“

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